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Victoria Belim: Rote Sirenen.

2014, als Russland die Krim annektiert, fährt die junge Schriftstellerin Victoria in das Dorf ihrer Familie in die Ukraine zurück. So viele Sommer hatte sie dort verbracht. Vor allem ihre Urgroßeltern hatten unendlich viele Geschichten zu erzählen. Doch einiges scheint unausgesprochen. Was ist bspw. mit dem Bruder ihres Urgroßvaters, Nikodim passiert, der laut des Urgroßvaters Aufzeichnungen in den 1930er Jahren spurlos verschwand? Warum gibt die Mutter selbst 2014 noch ausweichende Antworten auf Nachfragen zu Nikodim?
 
Aus dem geplant kürzeren Recherche-Aufenthalt und Besuch der Großmutter in der Ukraine werden Wochen und Monate, in denen sie der Großmutter beim Perfektionieren des Gartens hilft und in so vielem der ukrainischen Geschichte und dem Stolz der Ukrainer begegnet. Durch Landkarten aus dem 17. Jahrhundert angeregt, geht die Ich-Erzählerin Victoria bis in diese Zeit zurück, als die disziplinierte kosakische Armee 1654 den ersten ukrainischen Staat auf dem Gebiet des polnisch-litauischen Königreichs errichteten. (S. 132ff) Victorias Großmutter Valentina erzählt schließlich, was in der Zeit des Bürgerkriegs der 1920er, der Kollektivierungen in Kolchosen und der des Großen Hungers in der Familie passierte. Und Victoria zieht Parallelen zwischen 2014 und 2022, was die Ineffektivität der Sanktionen der Europäischen Union betrifft.
 
„Um zu finden, wonach man suchte, mußte man wissen, wie man die Dinge zu betrachten hat.“ (S. 174)
 
„Es gab einen Ort, der die alten Ängste, von denen meine Mutter sprach, verkörperte. Unter Leuten sprach Asja [Victorias Urgroßmutter, Anm.von mir] von Hahnenhaus. Unter der Hand sprach sie von Hahnenfalle. Äußerlich hatte das Hahnenhaus nichts Furcht Einflößendes an sich. Ganz im Gegenteil, es war das schönste Gebäude von Poltawa. Es Haus zu nennen, war maßlos untertrieben, denn es war ein elegantes Anwesen, das um die Jahrhundertwende als Bank errichtet worden war. Die zwei üppigen roten Sirenen, die das Eingangsportal flankierten, wurden im Volksmund Hähne genannt. Die karminrote, glänzende Fassade war mit kunstvollen Mosaiken verziert, auf denen aus Asche aufsteigende Feuervögel zu sehen waren. Der Mythos des Phönix, der verbrennt, bevor er wiedergeboren wird, passte erstaunlich gut zu der Organisation, die das Hahnenhaus zu Sowjetzeiten beherbergte. Anfangs nannte man sie Außerordentliche Kommission (Tscheka), dann Staatliches Politisches Direktorat (GPU), später Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten (NKWD), und schließlich Komitee für Staatssicherheit (KGB). Der Geheimdienst hatte viele Namen.“ (S. 50)
 
Geschichte meiner ukrainischen Familie
Einband: gebundenes Buch
EAN: 9783351041809
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Kategorie: Romane